Der Kunstcharakter der Fotografie war lange Zeit umstritten; zugespitzt formuliert der Kunsttheoretiker Karl Pawek in seinem Buch „Das optische Zeitalter“ (Olten/Freiburg i. Br. 1963, S. 58): „Der Künstler erschafft die Wirklichkeit, der Fotograf sieht sie.“
Diese Auffassung betrachtet die Fotografie nur als ein technisches, standardisiertes Verfahren, mit dem eine Wirklichkeit auf eine
objektive, quasi „natürliche“ Weise abgebildet wird, ohne das dabei gestalterische und damit künstlerische Aspekte zum Tragen kommen:„die Erfindung eines Apparates
zum Zwecke der Produktion ... (perspektivischer) Bilder hat ironischerweise die Überzeugung ... verstärkt, dass es sich hierbei um die natürliche Repräsentationsform handele. Offenbar ist etwas
natürlich, wenn wir eine Maschine bauen können, die es für uns erledigt.“[9] Fotografien dienten gleichwohl
aber schon bald als Unterrichtsmittel bzw. Vorlage in der Ausbildung bildender Künstler (Études d’après nature).
Schon in Texten des 19. Jahrhunderts wurde aber auch bereits auf den Kunstcharakter der Fotografie hingewiesen, der mit einem
ähnlichen Einsatz der Technik wie bei anderen anerkannten zeitgenössische grafische Verfahren (Aquatinta, Radierung, Lithografie, ...) begründet wird. Damit wird auch die Fotografie zu einem künstlerischen Verfahren, mit dem ein Fotograf eigene
Bildwirklichkeiten erschafft.[10]
Auch zahlreiche Maler des 19. Jahrhunderts, wie etwa Eugène
Delacroix, erkannten dies und nutzten Fotografien als Mittel zur Bildfindung und Gestaltung, als künstlerisches Entwurfsinstrument für malerische Werke,
allerdings weiterhin ohne ihr einen eigenständigen künstlerischen Wert zuzusprechen.
Der Fotograf Henri Cartier-Bresson,
selbst als Maler ausgebildet, wollte die Fotografie ebenfalls nicht als Kunstform, sondern
als Handwerk betrachtet wissen: „Die Fotografie ist ein
Handwerk. Viele wollen daraus eine Kunst machen, aber wir sind einfach Handwerker, die ihre Arbeit gut machen müssen.“ Gleichzeitig nahm er aber für sich auch
das Bildfindungskonzept des entscheidenden Augenblickes in Anspruch, das ursprünglich vonGotthold Ephraim Lessing dramenpoetologisch ausgearbeitet wurde. Damit bezieht er sich unmittelbar auf ein künstlerisches Verfahren
zur Produktion von Kunstwerken. Cartier-Bressons Argumentation diente also einerseits der poetologischen Nobilitierung, andererseits der handwerklichen Immunisierung gegenüber einer Kritik, die die
künstlerische Qualität seiner Werke anzweifeln könnte. So wurden gerade Cartier-Bressons Fotografien sehr früh in Museen und Kunstausstellungen gezeigt, so zum Beispiel in derMoMa-Retrospektive (1947) und der Louvre-Ausstellung (1955).
Fotografie wurde bereits früh als Kunst betrieben (Julia Margaret
Cameron, Lewis Carrollund Oscar Gustave Rejlander in den 1860ern). Der entscheidende Schritt zur Anerkennung der Fotografie als Kunstform ist den Bemühungen
von Alfred Stieglitz (1864–1946) zu verdanken, der mit seinem Magazin Camera Work den Durchbruch vorbereitete.
Erstmals trat die Fotografie in Deutschland in der Werkbund-Ausstellung 1929 in Stuttgart in beachtenswertem Umfang mit internationalen Künstlern wie Edward Weston, Imogen Cunningham und Man Ray an die Öffentlichkeit; spätestens seit
den MoMA-Ausstellungen von Edward
Steichen (The Family of Man, 1955)
und John Szarkowski (1960er) ist Fotografie als Kunst von einem breiten Publikum anerkannt, wobei
gleichzeitig der Trend zur Gebrauchskunst begann.
Im Jahr 1977 stellte die documenta 6 in Kassel erstmals als international bedeutende Ausstellung in der
berühmten Abteilung Fotografie die Arbeiten von historischen und zeitgenössischen Fotografen aus der gesamten
Geschichte der Fotografie in den vergleichenden Kontext zur zeitgenössischen Kunst im Zusammenhang mit den in diesem Jahr begangenen „150 Jahren
Fotografie“.
Heute ist Fotografie als vollwertige Kunstform akzeptiert. Indikatoren dafür sind die wachsende Anzahl von Museen, Sammlungen und
Forschungseinrichtungen für Fotografie, die Zunahme der Professuren für Fotografie sowie nicht zuletzt der gestiegene Wert von Fotografien in Kunstauktionen und Sammlerkreisen. Zahlreiche Gebiete
haben sich entwickelt, so die Landschafts-, Akt-, Industrie-, Theaterfotografie und andere mehr, die innerhalb der Fotografie eigene Wirkungsfelder entfaltet haben. Daneben entwickelt sich die
künstlerische Fotomontage zu einem der malenden Kunst gleichwertigen Kunstobjekt. Neben der steigenden Anzahl von Fotoausstellungen und deren Besucherzahlen wird die Popularität moderner Fotografie
auch in den erzielten Verkaufspreisen auf Kunstauktionen sichtbar. Fünf der zehn Höchstgebote für moderne Fotografie wurden seit 2010 auf Auktionen erzielt. Die aktuell teuerste Fotografie "Rhein II"
von Andreas Gursky wurde im November 2011 auf einer Kunstauktion in New York für 4,3 Millionen Dollar versteigert.[11] Neuere Diskussionen innerhalb der Foto- und Kunstwissenschaften verweisen indes auf eine zunehmende Beliebigkeit bei der Kategorisierung von Fotografie. Zunehmend werde
demnach von der Kunst und ihren Institutionen absorbiert, was einst ausschließlich in die angewandten Bereiche der Fotografie gehört habe.